The Debt
Scarface reloaded. "The Debt" wird zum Tummelplatz für psychologisierend-undefinierte Dreiecksaspekte, die letztlich sogar zu einem Viereck werden, für - Achtung, Phrase! - Narben, die das Leben schrieb, für aufgegebene Träume und für einen Albtraum, den man sich selbst geschaffen hat. Helen Mirren spielt Rachel, eine in die Jahre gekommene Mossad-Agentin, von deren Leidenschaftlichkeit und Idealismus dreissig Jahre nach ihrer - vermutlich einzigen - Lüge nichts als stoische Ernsthaftigkeit übrig blieb. Schuldig
Diese Lüge: geboren aus Angst und Wut. In der tristen DDR der späten 60er Jahre versuchen drei israelische Agenten, Dieter Vogel, einen wegen seiner NS-Versuche in Birkenau gesuchten Arzt - eine Mischung aus Mengele und Eichmann - zu fassen, in den Westen zu bringen und in Israel vor Gericht zu stellen. Soweit ist vordergründig der Plot schon erzählt. Regisseur John Madden machte daraus ein Vabanque-Spiel, bei dem die Bank ihre Verluste kaschiert.
Die Helden-Romantik
Diese Lüge: Rachel erschießt den Arzt bei einem Fluchtversuch. Die drei Agenten kommen nach Israel und werden trotz der vordergründig gescheiterten Mission als Helden empfangen. Rachel lebt von diesem Kredit ein halbes Leben, wird zu Talkshows eingeladen, wo sie ihre Version der Geschichte immer wieder erzählen darf und erlebt noch einen zusätzlichen Lebens-Höhepunkt, als ihre eigene Tochter die vermeintliche Helden-Geschichte der Mutter in Buchform auf den Markt bringt.
Die offene Rechnung
Diese Lüge: Sie zieht nicht nur die vom angeblichen Tod Vogels begeisterte anonyme Masse in ihren Bann, sondern sie signalisiert auch innerhalb der eigenen Familie Rachels, dass mit dem Abstand von 30 Jahren die Relation zu ihrer eigenen Unwahrheit verloren zu gehen droht. Also versucht sie letztlich, als gealterte Agentin, ihrer Tochter doch noch etwas zu geben, worauf diese stolz sein könne. Auch wenn das nicht aus ihrem eigenen Antrieb geschah - dafür musste sie sich erst der falschen Entscheidungen bewusst werden, die sie 30 Jahre zuvor wider besseres Wissen getroffen hat.
cinematograph - 2. Okt, 09:26

The Good, the Bad and the Chamaleon. Rango, ein Reptil mit Identitätskrise, eigentlich auf dem Weg, zum Shakespeare der Kleintierwelt zu werden, verschlägt es in ein Wüstenkaff, um dort mit seinem theatralischen Auftritt die anderen Kaff-Bewohner - Maulwürfe, Kröten und Gürteltiere - von dem im Chamäleon schlummernden Heldenmut zu überzeugen. Und während er die anderen überzeugt, verliert er schon bei seinem ersten Shoot-Out seinen Pistolen-Gürtel.
Gewalt, Ironie und Zahnprobleme, die vom Mann im Bärenfell behoben werden. "True Grit", der Neo-Western von Joel und Ethan Coen, ist eine Parabel über die Kommunikations-Unfähigkeit der alternden Schießdrauf-Helden und ihre Schwierigkeiten gegenüber einer die Zukunft verheißenden Kommunkationsfähigkeit, die in Form einer 14-jährigen mit ihrer Bockig- und Hartnäckigkeit und mit ihren Bibel-Zitaten die Strukturen der nicht mehr zeitgemäßen Frontier des Westens aufbricht.
So sieht es aus, wenn der Horror im Plüschrock antanzt. Darren Aronofsky hat mit "Black Swan", einer Mischung aus Psychodrama, Schocker und Thriller, aber nicht etwa Originäres produziert, sondern sein Bilder-Maschinengewehr mit Plattitüden gefüttert, um die Zuschauer mit einer Geschichte zu unterhalten, die im besten Fall noch als "Schwarz-Weiß-Zeichnerei" bezeichnet werden kann.
Man sollte ja immer vorsichtig sein mit Urteilen, die mit dem Attribut "dieses Jahres" enden. Nicht nur, wenn man solch ein Attribut im Dezember verleiht, sondern natürlich besonders, wenn man geneigt ist, dieses Urteil schon Anfang Jänner zu fällen. Aber auch auf die Gefahr hin, für eine vorschnelle Kategorisierung eines Films "dieses Jahres" gebrandmarkt zu werden, stelle ich die - aus meiner Sicht kaum sehr gewagte - Behauptung auf, dass "The Tourist" als das schlechteste Movie 2011 in die filmkulturelle Historie eingehen wird.
Mehrere Träume, einige Schichten Unterbewusstsein und dutzende Erzählebenen: wer bei Inception am Ende noch weiß, was sich in welcher Traumebene zugetragen hat, ist entweder Magier oder er heißt Christopher Nolan. Der Regisseur musste sich sogar von seinem Darsteller-Häuptling Leonardo DiCaprio sagen lassen, dass dieser keinen Durchblick hat. Eine Falle aus Illusionen und Täuschungen.
Die Dame ist die stärkste Figur - Sandrine Bonnaire, die Vorzeigefrau französischer Autorenfilme, hat zu Beginn von Caroline Bottaros Film "Die Schachspielerin" weder Selbstvertrauen noch Anmut noch Motivation. Hélène wurde durch die Liebe zu ihrem Mann zur Manövriermasse ihres eigenen Lebens, als sie nach Korsika ging und hier Putzfrau und Bedienerin spielt. Quasi der Bauer im Schachspiel der Mächte, eine kleine Figur, nicht zu vernachlässigen zwar, aber auch der erste Teil, an den man denkt, wenn es darum geht, etwas zu opfern.
Roman Polanski, polnisch-französischer Autor im schweizerischen Hausarrest aufgrund von US-Anschuldigungen, dreht einen Film über einen britischen Politiker, der an der Ostküste spielen soll, auf deutschen Nord- und Ostseeinseln. So weit, so undurchschaubar. Ebenso wenig transparent sind die Figuren in dieser nach einer Roman-Vorlage von Robert Harris umgesetzten Inszenierung, in der sich die Eiseskälte windiger Inseln mit jener windiger Politiker und Polit-Berater zu einem Gefrier-Koglomerat zusammenfügt, dessen Umsetzung einem Kammerspiel gleichkommt.